Einblick Bolivien Oktober 2019
Vor meiner Abreise nach Bolivien bekomme ich einen Hilferuf von freiwilligen Helfern, die im Amazonas ohne feuerfeste Schuhe und ohne Wasser versuchen, die außer Kontrolle geratenen Brände zu löschen. Innerhalb von einer Woche hat unsere Projektgruppe zwei Koffer mit feuerfesten Schuhen bei der freiwilligen Feuerwehr gesammelt, die ich mit nach Bolivien nehme. Anfang September starte ich und komme gut in La Paz an. Roxana holt mich am Flughafen ab und erzählt, dass sie an der Uni eine Spendensammlung für die Feuerwehrleute machen. Mit Alfredo, Henry, Coco und Olga brechen wir auf, um die Spenden zur Sammelstelle an der Uni zu bringen. Dort werden wir herzlich empfangen. Mit den Fotos der Stiefel in einer Reihe wird gleich ein Pressebild gemacht und wir werden eingeladen, „Erste Hilfe mit Homöopathie für die freiwilligen HelferInnen“ zu unterrichten. Beim letzten Einsatz ist ein junger Mann ums Leben gekommen und wir werden eingeladen, an der Trauerfeier teilzunehmen.
Die Homöopathie verbreiten helfen: In einer Gemeinde in der Nähe von La Paz in Inkahuara könnte unsere Gruppe ein Homöopathie-Projekt starten. Die Gemeinde verfügt über ein großes Gemeindezentrum, in dem geeignete Unterrichtsräume wären. Alfredo hat als ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für traditionelle Medizin und Schamane wie immer guten Kontakt zu den Behörden, die sein Projekt befürworten. Wir hätten die Möglichkeit, aus verschiedenen Gemeinden in und um dem Regierungsbezirk Caranavi die Sanitätsbeauftragten auszubilden. Wir fahren am Wochenende nach Inkahuara und lernen die Autoritäten des Dorfes auf einem Gemeindefest kennen. Ideen, die sich dann entwickelt haben, sind: Das Curriculum wird vereinfacht auf eine Ebene, die der Denkweise und dem Ausbildungsstand der Indigenen entgegenkommt. Dazu käme die Vermittlung von traditionell in Bolivien angewendeter Phytotherapie. Die ehemaligen Schüler würden den Unterricht abhalten. Wir würden die Arbeit dort unterstützen durch Training von Trainees. Lehrende wären unsere ehemaligen SchülerInnen. Ich habe außer dem Unterricht in Geriatrie einige „warming up“-Übungen für die Verbesserung von Unterrichtsarbeit mitgebracht und wir lockern uns in der Praxis mit lustigen Partnerübungen. Hier gibt es wenig Körperarbeit und viele Menschen haben Beschwerden durch Bewegungsmangel.
Wir unterrichten ein paar Tage später 10 Personen der freiwilligen StudentInnenbrigaden, die mit großem Interesse an unserem Workshop teilnehmen. Die TeilnehmerInnen sind begeistert, dass sie Mittel zur Verfügung hat, die wenig Platz wegnehmen und für viele Personen zweckdienlich sind. Eine Woche darauf haben sie den nächsten Einsatz im Amazonas und wollen uns über ihre Erfahrungen mit den kleinen Hausapotheken berichten. Wir werden zu zwei Fernsehinterviews und einer Radiosendung eingeladen. Alle Interviews sind sehr wohlwollend und geben Gelegenheit, die Wirkungsweise der Homöopathie zu erklären und zu unserer Veranstaltung einzuladen.
An einem anderen Tag bin ich im Hotel Camino Real eingeladen, wo eine Pressekonferenz stattfindet. UNO, katholische Kirche und LGBTI Bolivien sprechen über die Situation alt gewordener Menschen mit differenter sexueller Orientierung. Consuelo Torrico, die Sekretärin einer NGO und unseres Homöopathie-Projektes, hat die letzten Wochen nur für diese Konferenz gearbeitet. Kritik wird vor allem an den Ministerien geübt, die drei Jahre lang Wohnungen für die älteren LGBTI versprochen hatten. Consuelo hatte sich erhofft, dort als Homöopathin im dort geplanten Gesundheitszentrum zu arbeiten. Nach einem Wechsel im Ministerium sind diese Pläne wieder verworfen worden. Ziemlich typisch für Bolivien.
Am letzten Wochenende meines Aufenthaltes findet die seit drei Wochen vorbereitete Veranstaltung zu Homöopathie und traditionelle Medizin im Hotel Torino statt. Ich beginne mit dem Thema „Homöopathie als Medizin der Zukunft“, bei dem die Homöopathie in ein ökologisches Konzept eingebettet wird, wie die Menschheit auf diesem Planeten zukunftsorientiert wandeln kann und welchen Anteil Heilung und sanfte Medizin dabei haben könnten. Inzwischen ist die Besucherzahl von 15 auf 40 angestiegen. Alfredo hält einen Philosophievortrag über die Gemeinsamkeiten der Homöopathie und der traditionellen Medizin. Olga betont die Vorteile der Homöopathie in der Behandlung von Kindern, vor allem von behinderten Kindern, die mit dem Schlucken von Medizin häufig Probleme haben und die die süß schmeckenden Kügelchen lieben und ohne Gegenwehr einnehmen. Henry referiert über das Leben Hahnemanns, Roxana beschreibt zwei Fälle von Angststörungen, die sie mit Aconitum und Ignatia behandelt und geheilt hat.
Danach können die ZuhörerInnen ihre Fragen stellen. Die Fragenrunde ist spannend. Ich bin auf Kritik vorbereitet: Denn inzwischen erscheinen auch in Bolivien, wenn man Homöopathie googelt, zuerst die Skeptiker auf dem Bildschirm. Wir haben mit dem Publikum lange Gespräche über die Zweifel an der Wissenschaftlichkeit, über geheilte Fälle und der Vorteile interdisziplinärer Behandlungen wie in Indien. Wir haben einige Ärzte und Biologen von der Uni im Publikum und sie wollen genaue Antworten, die wir auch geben können und das Publikum lauscht gebannt. Nach einem letzten Abend mit der Gruppe nimmt auch diese Reise ihr Ende. In meinem Herzen bleibt ein Leuchten, denn die Veranstaltung und der Kontakt mit der Gruppe haben wie am Schnürchen geklappt. Ich werde alles vermissen!
Anja Kraus