Einblick April 2019 | „Homöopathie für Flüchtlinge in Deutschland“ mit HiA

Würden Sie in der Therapeut-Patient-Beziehung oder sonst im Alltag bei einem Deutschen nach dem Befinden seiner Familie fragen? Genau das ist für einen Iraner Zeichen einer wertschätzenden und fachlichen Kompetenz“, so Dr. Dr. Rahim Schmidt in der Ankündigung seines Buches „Interkulturelle Medizin und Kommunikation“. Dr. Schmidt hielt kompetent und humorvoll den Einführungsvortrag beim Fachtag „Interkulturelle Medizin“, zu dem der Verein FiLL e.V. (unter Vorsitz von Prof. Dr. Leonie Herwartz-Emden) in Augsburg eingeladen hatte und den ich als Projektleiterin des Projektes „Homöopathie für Flüchtlinge“ mitgestaltet habe. 140 Interessierte aus verschiedenen Fachgruppen nahmen teil.

Wenn „die Leber brennt“, so Dr. Schmidt, ist das kein Grund, Menschen aus Ländern wie Iran, Türkei und auch Frankreich sofort zum Gastroenterologen zu schicken oder zu repertorisieren: Leber, Schmerz, brennend, sondern das ist vielmehr ein Ausdruck von Liebesverlust und gleichbedeutend mit „Herzschmerz“ in Deutschland. Auch im Blickkontakt und dem räumlichen Abstand entstehen leicht Missverständnisse. Menschen kommunizieren unterschiedlich, Deutsche immer auf der Sachebene: „Wo tut es weh?“, Menschen aus dem Orient auf der Beziehungsebene mit verallgemeinernder Sprache. Möglicherweise erzählen sie gar nichts von ihren Beschwerden, denn der Arzt muss es doch schließlich wissen, er hat ja studiert.

Für eine kompetente medizinische Versorgung von Migranten und Flüchtlingen ist die Akzeptanz von Vielfalt und eine Sensibilisierung für kulturelle Unterschiede unerlässlich, so Dr. Margret Spohn, Leiterin des Büros für Migration, Interkultur und Vielfalt der Stadt Augsburg. Die Referentin zeigte kulturelle Unterschiede auf: Einen Kranken lässt man nicht allein (z.B. sechs Besucher im Krankenzimmer) vs. ein Kranker braucht Ruhe. Das kann durchaus Konflikte auslösen.

Das Wissen um andere Annahmen und Erwartungen ist wichtig, aber nicht jedes Verhalten ist kulturbedingt. Wir dürfen nicht kulturalisieren oder ethnisieren, müssen immer individualisieren. Alle gleich behandeln heißt nicht unbedingt Gerechtigkeit, das brachte Dr. Spohn einleuchtend in Bildern und Cartoons zum Ausdruck. Ein Beispiel: Wenn drei unterschiedlich große Menschen versuchen über einen Zaun zu schauen, reicht es nicht, jedem eine Kiste zur Verfügung zu stellen, sondern die Menge der Kisten muss der Größe des Einzelnen angepasst werden, damit jeder etwas sehen kann.

Die dritte Rednerin des Fachtags war Maria Johanna Fath vom Traumahilfenetzwerk Schwaben, die über die Grundlagen zum Thema Trauma referierte und die Veränderungen der Informationsverarbeitung im Gehirn durch eine lebensbedrohliche, hochgradig ängstigende und ausweglose Situation aufzeigte. Ist weder Flucht noch Kampf möglich (no fight - no flight), kommt es zum Erstarren (freeze). Durch die Stresshormone werden die Emotionen eingefroren und als Erinnerungssplitter (Fragmente) isoliert im Gehirn abgespeichert. Sie sind dann nicht mehr zugänglich. Bei der post- traumatischen Belastungsstörung kommt es in der Folge zu Hyperarousel (Unruhe, Schreckhaftigkeit, Schlafstörung...), Vermeidung (Isolation, Betäuben, Alkohol...) und Wiedererleben (Alpträume, Panik, Grübeln...).

Zur Stabilisierung bedarf es in erster Linie Sicherheit und Zukunftsperspektive, was im Asylverfahren leider oft nicht gegeben ist. Zu verstehen lernen, dass die Traumafolgestörung eine normale Reaktion auf eine unnormale Situation ist, und die Arbeit mit Ressourcen sind bei der Behandlung von großer Bedeutung. Auch betonte Maria Johanna Fath das ABC des Helfers zu beachten: Achtsamkeit – Balance – Connection, um eine sekundäre Traumatisierung beim Behandler zu vermeiden.

Die Vorträge am Nachmittag befassten sich mit dem Thema der weiblichen Genitalverstümmelung FGM.
In beeindruckender und einfühlsamer Weise informierte die Münchner Gynäkologin Eiman Tahir über das schwierige Thema, mit dem sie sich schon seit ihrer Doktorarbeit in Afrika befasst hat und sie verstand es, uns zu sensibilisieren. Von der schweren Aufklärungsarbeit und eigenen schlimmen Erfahrungen berichtete auch Fadumo Korn vom Verein NALA e.V., München. Einen sehr guten Ansatz zeigten zwei Change-Agents aus Berlin auf, von LET'S CHANGE, einem Projekt von TERRE DES FEMMES. Das setzt in den Communities an und bildet weibliche und männliche Multiplikatoren aus den afrikanischen Communities aus, um in Europa gegen FGM vorzugehen.

Nach den Vorträgen konnten die Teilnehmer des Fachtages an sechs Thementischen im Rahmen eines „Weltcafés“ miteinander ins Gespräch kommen und so Problem- oder Fragestellungen in Kleingruppen intensiv diskutieren und reflektieren.
Es wurden Tische zu den folgenden Themen angeboten: Beratung und Prävention zu sexuell übertragbaren Infektionen, Schwangerschaft und Kinder, muslimische Seelsorge, weibliche Genitalbeschneidung und Stabilisierung für traumatisierte Flüchtlinge. An diesem Tisch wurde u.a. unser Projekt „Homöopathie für Flüchtlinge“ vorgestellt. Projektmitglieder aus Bayern und Baden-Württemberg waren angereist und zusammen mit weiteren Tischgästen konnten sich informative und sehr interessante Gespräche entwickeln. So konnten wir erleben, dass das Flüchtlingsprojekt von HOG und HiA lebendig bleibt.

Dr. Maria Möller

Buchempfehlung: Dr. Dr. Rahim Schmidt, Interkulturelle Medizin und Kommunikation, 2017, ISBN 978-3-7431-2337-3

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