Einblick Sierra Leone Dezember 2022

Abdul Sierra Leone

Der Start in Freetown nach meiner Ankunft im Dezember 2022 verläuft holprig: Mein Koffer ist verschollen und ich kann nicht sofort mit der Arbeit vor Ort beginnen. Auch die erhoffte Arzneimittelgenehmigung beim Pharmacy Bord kommt trotz guter Vorbereitung nicht zustande, weil der zuständige Mitarbeiter verreist ist. That’s Africa! Zum Glück gibt es in dieser Situation Mrs. Marah, die Köchin im Hostel: Sie versorgt mich mit kulinarischen Leckereien wie Kochbananen, Reisbällchen, Süßkartoffeln mit Zwiebelsoße – und hält mich bei Laune, bis der Koffer endlich eintrifft. Am Tag drauf geht es bei strömendem Regen nach Rorinka, in nullkommanix stehen die wunderbar geteerten Straßen unter Wasser. Rorinka selbst präsentiert sich aufgeräumt, das Gelände ist bepflanzt mit Mais, Kassava, Papaya, Mangos und Cashew. Der Empfang ist vielversprechend: Die Clinic ist sauber, alle AnsprechpartnerInnen motiviert und offen. Derzeit gibt es weniger PatientInnen, weil eine kleine Gebühr bezahlt werden soll. Dass kürzlich hier in der Gegend eine NGO die Leute umsonst behandelt hat, erschwert die Arbeit. Aber John Conteh, der „Doctor“, wie er hier genannt wird, ist optimistisch, dass die Zahlen wieder steigen. Er bemüht sich um die Erlaubnis, kleine OPs durchführen zu dürfen und könnte dann auch Brüche behandeln. Absolut notwendig hier!

Die PatientInnen in Rorinka warten schon, Homöopathie ist hier sehr gefragt. Ich warte gespannt auf den Montag, wenn der Unterricht beginnt. Parallel dazu arbeite ich an einer Lösung für das Internet in der Praxis. Unsere KollegInnen vom Kenia-Projekt haben für den geplanten Online-Unterricht den Kontakt zu Shari, ihrer Homöopathin vor Ort, hergestellt. Per WhatsApp Video vereinbaren wir, dass wir ab Anfang 2023 gemeinsam ein Lehrprogramm erstellen mit dem Ziel einer interafrikanischen Online-Ausbildung. Das Wochenende nutze ich zum Beispiel für den traditionellen Gang über den Markt mit all seinem Gewimmel und seiner einzigartigen Geräuschkulisse. Die Preise für Nahrungsmittel haben sich mindestens verdoppelt. Schließlich ist der Montag da und die ersten PatientInnen treffen noch vor den SchülerInnen ein. Gemeinsam behandeln wir die PatientInnen, „Doctor John“ sitzt dabei. Immer wieder diskutieren wir den Unterschied zwischen der Homöopathie und der Schulmedizin, hier auch „medical medicine“ oder „English medicine“ genannt. Vor dem Lunch trifft Ibrahim ein und wir reden über die letzten drei Jahre, über den Beruf des community health workers und die Segnungen der Homöopathie. Dann stellen wir zwei Tische auf, an einem behandeln Ibrahim und Abu, am anderen Abie und Musa, „Doctor John“ sitzt dabei und Lamin kommentiert. So macht das Arbeiten Spaß! Die Anamnese ist gemacht und es wird nur noch das Mittel diskutiert. Um 16 Uhr ist Feierabend: 18 Patienten, die trotz des schlechten Wetters die Sprechstunde wahrgenommen haben, wurden behandelt. Auch der Tag drauf läuft sehr erfolgreich, Abdul und Zainab kommen dazu – und auch interessierte neue SchülerInnen schauen vorbei, darunter eine junge Krankenschwesternschülerin, die in dieser Woche gleich hospitiert. Sie könnte in die neue Online-Ausbildung eingebunden werden. Verschiedene SchülerInnen stellen eigene Fälle aus der Praxis vor, die alle sehr gut gelaufen sind. Nach der Diskussion stelle ich Natrium vor, Ibrahim wird am nächsten Tag ein paar Natrium-Fälle präsentieren. 14 Patienten am Nachmittag und in der Abenddämmerung noch ein Patient von Ibrahim, der uns in seiner Funktion als hiesiger Polizeichef sogar Security anbietet!

Die Woche verläuft weiter ausgesprochen positiv: Täglich bis zu 24 PatientInnen, davon einige follow ups mit sehr erfreulichen Ergebnissen wie bei einem Kleinkind mit Fieber oder einer alten Dame mit Gehbeschwerden. Bei der Patientenbehandlung bleiben wir fast ausschließlich innerhalb der unterrichteten Mittel. Die PatientInnen sind zufrieden – und die TherapeutInnen auch. Unser Schüler Musa schreibt erfolgreich seine schriftliche Nachprüfung und besteht auch die praktische Prüfung. Wir besprechen Pulsatilla und Sepia, später noch Sulfur und Abdul und Ibrahim stellen einen eigenen Sulfur-Fall vor. Die Zeit rennt, ich versuche alle AnsprechpartnerInnen vor Ort gemäß ihren Fähigkeiten bestmöglich einzubinden. Es folgt das Abfüllen der Mittel mit den SchülerInnen. Außerdem verteile ich Informationen wie unser Büchlein, in dem die Mittel anschaulich beschrieben werden und das Kenia-Heft. Am Samstag räume ich noch den Schrank in der Clinic auf, mache Inventur und behandle die letzten sieben PatientInnen, die noch angefahren, angelaufen, angehumpelt kommen. Mein Fazit: Unsere SchülerInnen verfügen über gutes Wissen und haben jeweils mindestens zwei Fälle vorgetragen. Ibrahim hat den Chinarindenversuch und Zainab über die AM-Herstellung referiert. Ich denke, wir können stolz auf sie sein. Die Möglichkeiten der Online-Schulung sind vor Ort technisch auf den Weg gebracht.

Mein letzter Abend: Es ist ruhig hier, jedenfalls bis um 5 Uhr der Muezzin ruft. Man kann Fledermäuse und Glühwürmchen beobachten, man hört die Zikaden, Sterne gibts auch reichlich. Und die Temperaturen nachts werden schon richtig angenehm. Es ist eine völlig andere Welt. Auch wenn ich schon öfter hier war, bedeutet es doch jedes Mal eine Riesenumstellung. Und der direkte Kontakt mit der Armut braucht Mitgefühl und Distanz. Da heißt es einen guten Mittelweg für sich zu finden, was auch nicht immer einfach ist. Wie immer verlasse ich Rorinka erschöpft und gleichzeitig dankbar und reich beschenkt – mit Obst und vielen neuen Erfahrungen.

Barbara Böttcher

 

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